Spuren am Haus

Fotografien von Wandzeichnungen in der 5. Etage vom Unterbringungshaus 1 am Neuen Haus, 08.09.2021, Privatarchiv Emilia Henkel

 

 

Übersetzungen 

1 Wandzeichnung auf Englisch: Willkommen in der Hölle

2 Wandzeichnung auf Englisch: Fuck the Scheise Tambach

3 Wandzeichnung auf Französisch: Die Letzten werden die Ersten sein – Es lebe die Freiheit

4 Wandzeichnung auf Arabisch: Mein Herr, Leid hat mich berührt, und Du bist der Barmherzigste der Barmherzigen. Das ist Vers aus dem Koran (21:83), mit dem Hiob Gott anruft.)

5 Überreste am Boden eines Zimmers mit deutschem Zettel: Das Fenster kann nicht geöffnet werden

6 Aufkleber am Fenster des Gemeinschaftsraums: Datteln aus Algerien, mindestens haltbar bis zum 30.06.2002.

7 Wandschmuck aus Alufolie

8 Holzkonstruktion an der Wand

9 Inschrift an Zimmertür auf Arabisch: Friseur

Die beiden Unterbringungsgebäude, in denen Geflüchtete am Neuen Haus wohnten, wurden 1983 für das GST-Lager in Plattenbauweise mit vier Etagen gebaut.

1993 ließ die Thüringer Landesregierung noch eine fünfte Giebeletage mit einem Satteldach auf jeden Block bauen, um mehr Geflüchtete unterzubringen und von der Treuhand bei Verkauf des Gebäudes geforderte Investitionen zu tätigen.

In der fünften Etage befanden sich zwei Gemeinschaftsräume, Mehrbettzimmer und Toiletten für Männer und Frauen. Der christliche Verein Camp Impact, der das Gelände 2008 kaufte, ist dabei die Gebäude zu renovieren.

In der fünften Etage des ersten Unterbringungsgebäudes sind die Arbeiten aber noch nicht weit vorangeschritten, sodass an den Wänden noch Inschriften und kleine Überreste der Asylsuchenden, die dort bis 2003 lebten, zu finden sind. 

 

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Kommentare

a
Vor einem Jahr

Das Bild mit dem Teufel, stellt für mich die unmenschliche Situation im Lager da. Der oder die Bewohner/in versuchte damit ihre/ seine Lebenswelt widerzuspiegeln, ihre/ seine Empfindungen zum Leben dort. Es zeigt für mich, dass die Menschen dort, obwohl sie bereits eine lange schwere Reise hinter sich hatten, diesen Ort als schlimmer und unmenschlicher ansehen als ihren bisherigen Weg. Es steht für mich auch für eine Warnung. Eine Warnung an alle anderen Bewohner*innen im Neuen Haus. Welcome to hell ist mehr als eine Ausdruck, es zeigt die Lebensumstände der Menschen. Dazu noch der gezeichnete Teufel, welcher gut für die Regierung stehen könnte. Versehen mit dem Wort devil, soll es zeigen, dass es für sie die Hölle ist dort zu leben und Deutschland, sowie die Vorschriften eine Art Teufel symbolisieren, der ihre persönliche Hölle bewacht.

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Vor einem Jahr

Für mich drücken einige der Bilder gut die Gedanken und Gefühle der (ehemaligen) Bewohner aus.
Zum Beispiel zeigt Bild 1, dass das Neue Haus für die Geflüchteten die Hölle war. Oder Bild 2, dass dort keinesfalls das Gefühl von Schutz und Freiheit gegeben wurde, sondern eher von Unterdrückung und Vernachlässigung. Auch Bild 5 fand ich sehr erschreckend mit der Einschränkung die Fenster nicht öffnen zu dürfen.

Alexandra
Vor einem Jahr

„Fenster kann NICHT geöffnet werden“ - Für mich spricht diese Notiz auf dem fünften Bild Bände. Den hier gesammelten Quellen kann man ja eindeutig entnehmen, wie schlimm die Lebensbedingungen empfunden wurden. Dass sich die Räumlichkeiten nicht für eine längere Unterbringung eignen konnten, kann man hier gut einsehen.

z
Vor einem Jahr

Ich finde die Bilder sehr erschreckend und traurig. Auch durch andere Quellen auf dieser Website, kommen mir die Asylbewerber sehr allein gelassen vor. Es steckt viel Kritik hinter all diesen kleinen Zeichnungen, die wahrscheinlich damals nie wahrgenommen wurden, oder welche man nie ernst genommen hat.

Jona
Vor 2 Jahr

Die Wandzeichnungen (vor allem 1 und 2) machen für mich das Nachempfinden von Gefühlen der im Neuen Haus untergebrachten Geflüchteten möglich; ich sehe die Zeichnungen als Ausdruck des Widerstandes und der Verzweiflung, aber auch der Langeweile. Ich stelle mir vor, dass das Leben im Heim eine bedrohliche, ungewisse Ödnis gewesen sein muss. Die arabische Inschrift auf der Zimmertür 576 "Friseur" interpretiere ich als Hinweis auf den Heimalltag: dort war jemand untergebracht, der Haare schneiden konnte und informell als Friseur arbeitete?

Emilia
Vor 2 Jahr

Ich bin ab Juli 2002 nur fünf Kilometer entfernt vom Neuen Haus aufgewachsen. Ich kannte den Ort vom Vorbeiwandern und habe mich immer gefragt, was die großen Gebäude im Wald sollen. Durch Zufall habe ich 2020 bei einer Recherche über rassistische Gewalt Anfang der 1990er Jahre erfahren, dass dort eine Asylunterkunft war und dann für meine Masterarbeit mehr recherchiert.

Mir springt besonders das Bild 6, der Aufkleber einer Packung Datteln am Fenster des Gemeinschaftsraums ins Auge. Jemand, der dort Anfang der 2000er Jahre wohnte, hat sich 200g Datteln der Sorte Deglet Nour, angebaut in Algerien, verpackt in Frankreich gekauft. Wie viele der Menschen, die am Neuen Haus lebten, hatten diese Datteln eine weite Reise hinter sich, aus eine ehemals kolonisierten Land in ein Land, das früher Kolonien besessen hatte. Das Mindesthaltbarkeitsdatum der Datteln ist der 30. Juni 2002, aber ich kann mir vorstellen, dass sie vielleicht im Winter 2001 gekauft wurden, weil in vielen deutschen Supermärkten Datteln nicht das ganze Jahr über, sondern vor allem in der Weihnachtszeit angeboten werden. Das Datteletikett gibt ein ganz kleines Stückchen des Alltags in der Asylunterkunft preis, dass in keinem Zeitungsartikel oder Protestbrief abgebildet wird: Jemand, der dort auf seinen Asylbescheid wartet, hat Lust auf etwas Süßes und kauft sich Datteln. Wo wurden die Datteln gekauft? Vielleicht in einem Supermarkt in Tambach und dann zu Fuß fünf Kilometer durch den Wald nach Hause getragen? Oder im Extra-Markt in Friedrichroda und dann in einem vollen Bus zurück ins Camp transportiert? Oder hat die Datteln jemand von denen mitgebracht, die sich der Residenzpflicht widersetzten und nur für die Ausgabe des Taschengeldes zu dem Camp kamen, ansonsten aber anderswo in Deutschland lebten? Wurden die Datteln im Gemeinschaftsraum zusammen gegessen und geteilt? Haben sie jemanden an zuhause erinnert? Vielleicht bestätigen sie auch, wie wichtig die Selbstversorgung mit Essen ab 1999 war. In der Gemeinschaftsküche waren Datteln sicher nicht Teil des Speiseplans gewesen.

Josi
Vor 2 Jahr

Das Foto mit dem Teufel bewegt mich, weil der oder die BewohnerIn das Flüchtlingsheim wohl als Hölle empfunden hat. Abgeschottet von der Zivilisation und mit Stacheldraht umzäunt klingt für mich auch nach Hölle. Hoffentlich gibt es sowas heute in dieser Form nicht mehr. Ich habe nie in einem Flüchtlingsheim gewohnt und sehe es aus einer Perspektive von außen.

Safi
Vor 2 Jahr

Wenn ich das zweite Foto anschaue, werde ich richtig traurig. Da ist eine Spritze mit Blut dargestellt, was für mich bedeutet, dass dort Leben richtig schlimm war. Sicherlich waren 60% der Leute, die das Lager in Tambach verlassen haben psychisch krank. Das erinnert mich an 2015 in der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl. Da haben die Leute auch viele Sachen an die Wand geschrieben.

Quirin
Vor 2 Jahr

Besonders das erste und das zweite Foto zeigen für mich, wie gefangen sich die Bewohner*innen des Camps gefühlt haben müssen, wenn sie es als "Hölle" bezeichnen. Kein Wunder, wenn man Wut oder sonstige schlechte Gefühle bekommt, wenn man dort eingesperrt ist!
Die Fotos sind auch in einer interessanten Reihenfolge angeordnet: "die ersten werden die letzten sein" ist für mich der Übergang, der schon etwas Hoffnung andeutet. Die letzten beiden Bilder zeigen, dass sich die Bewohner*innen dort das Bedürfnis hatten, sich wohnlich einzurichten und ihr Zimmer schön zu gestalten. Wobei die die selbstgebaute Garderobe auch zeigt, wie schwierig es gewesen sein muss, Möbel an diesen abgelegenen Ort zu transportieren.

A.
Vor 2 Jahr

Mir fallen besonders die ersten Fotos (1-4) auf. Sie vermitteln mir den Eindruck, dass es den Menschen dort sehr schlecht ging. Vor allem die Inschrift, in der dieser Ort mit der Hölle gleichgesetzt wurde, ist für mich erschreckend und scheint für mich so ziemlich der schlimmste Vergleich, den man ziehen kann.

Außerdem ist mir das Foto mit dem Wandschmuck aufgefallen, weil ich, als ich jünger war, mal auf ähnliche Weise meine Wand dekoriert habe.
Die Sterne und der Mond sind sehr weit oben Richtung Zimmerdecke angebracht sind, vielleicht stand dort ein Etagenbett.
Ich frage mich, ob es ein Kind war, für das dieser Schmuck angebracht wurde. Oder hat es die Sterne vielleicht selbst angeklebt? Wie lange hat es wohl dort im Neuen Haus gelebt? Wie viele Familien mit Kindern waren über die Zeit an diesem Ort mitten im Wald untergebracht?


Ich bin in einem Dorf in der Nähe des Neuen Hauses aufgewachsen, kenne es aber nur von außen (von Wanderungen) und wusste sehr lange nicht, dass dort zu dieser Zeit asylsuchende Menschen lebten.