Bericht des Heimkomitees
Bericht des Komitees Neues Haus über die Lebensbedingungen der Asylbewerber in der Landesgemeinschaftsunterkunft Tambach-Dietharz, 31.03.1998, Archiv Flüchtlingsrat Thüringen.
Deutsche Übersetzung des Bericht des Komitees Neues Haus über die Lebensbedingungen der Asylbewerber in der Landesgemeinschaftsunterkunft Tambach-Dietharz, 04.04.1998, Archiv Flüchtlingsrat Thüringen.
Dieses Dokument ist einer von mehreren Berichten des Komitees „Neues Haus“. Das Komitee gründete sich am 31.03.1998, am selben Tag, an dem der Bericht verfasst wurde.
Es bestand aus einer Gruppe von im Camp lebenden Aktivist*innen aus verschiedenen Ländern. Sie gründeten ihr Komitee als Arbeitsgruppe des Thüringer Flüchtlingsrats, um als Teil einer Organisation ernster genommen zu werden.
Viele der Mitglieder waren schon in ihren Heimatländern politisch aktiv gewesen und brachten ihre Erfahrungen mit der Organisation von Protesten in die Arbeit des Komitees ein. Einige der Aktivist*innen sind in dem Dokumentarfilm der Karawane zu sehen. Sie verfassten ihre Berichte auf Englisch oder Französisch.
Der Flüchtlingsrat hat diesen Bericht zeitnah ins Deutsche übersetzen lassen.
Deutsche Übersetzung
1. Einleitung
Das „Neue Haus“ in Tambach-Dietharz ist ein Ort, wo die Asylanten sehr leiden. Unsere Lebensbedingungen sind beklagenswert und es ist mehr als ein Gefängnis.
2. Unser soziales Umfeld
Unsere Sozialarbeiter sind unsere Mütter, denen wir immerzu unsere Probleme darlegen müssen, damit sie uns helfen, diese zu lösen. Aber leider sind sie unsere größten Spione und verschaffen uns immer härtere Lebensbedingungen. Schließlich kann eine Mutter, die ihr Kind nicht liebt, dieses ganz leicht töten. Denn anstatt zu überwachen und zu kontrollieren, was wir in der Kantine essen, messen sie diesen Sachen keine Bedeutung bei und sie teilen uns Lebensmittel aus, deren Frist schon vorüber ist.
3. Die Hygiene im Lager
Wir wohnen in einem Haus, welches dreckig ist und man kümmert sich einen Scheiß um unsere Gesundheit, weil die Toiletten und die Korridore nicht täglich gereinigt werden, sondern nur 2 oder 3 Mal pro Woche, obwohl wir mehr als 500 Personen im Haus sind. Unter diesen Gegebenheiten sind wir gezwungen krank zu sein und wenn du krank wirst, haben sie immer dasselbe Medikament, um es dem zu geben, der Kopfschmerzen hat und dem, der Bauchschmerzen hat, selbe Sache für den, der Schnupfen hat. Nehmen wir das Beispiel dreier unserer Brüder, die krank geworden sind. Sie sind zum Doktor gegangen, der ihnen allen die gleichen Tabletten gegeben hat. Es handelt sich um: Herr X., der im Winter beim Gehen auf dem Eis ausrutschte und Kopfschmerzen hatte. Er ging am nächsten Morgen zum Doktor, der ihm 2 Tabletten gab, auf denen geschrieben stand „Berlosin“. Herr Y. hatte Schnupfen und ging zum Doktor. Der gab ihm 2 Tabletten Berlosin. Z. hatten Bauchschmerzen und man hatte ihm dieselben Tabletten gegeben. Und einer unserer Brüder verletzte sich beim Spielen am Knie – der Doktor hat ihm eine Binde gegeben, um das Teil zu verbinden, aber bis heute leidet die Person unter dem Knie. Nach allen diesen Beobachtungen sind wir zum Sozialdienst gegangen, um ihnen alles zu erklären, was passiert ist. Die Antwort ist, dass sie hier in Tambach nur Berlosin haben, um es zu geben. Und vor allem im Fall eines Brandes im Haus haben wir keine Mittel, um uns zu wehren, weil es Gasbüchsen gibt, aber sie haben das Gas herausgenommen. Das ist sehr schlimm.
4. Unsere Verpflegung
Die Kantine, ein Ort, wo wir essen und der sauber sein muss, ist ebenfalls in dem Schmutz eingeschlossen. Und sie ist am Morgen um 7 Uhr geöffnet für das Frühstück, welches zusammengesetzt ist aus Brot, aus Butter, aus ablaufender Konfitüre (einige Wochen vor dem Verfallsdatum) und auch aus Milch verdünnt mit Wasser. Für das Mittagessen beginnt immer um 11 Uhr und besteht immer aus Reis und Kartoffeln mit einer Soße begleitet von Creme oder Joghurt, die immer kurz vor dem Verfallsdatum sind. Beispiel von einem Jogurt, den man uns ausgeteilt hat am 24.03.1998, der erleuchtet sein wird am 27.03.1998. Es gibt noch andere Beispiele. Und am Abend ist das noch das Brot und Sardine und außerdem Apfel manchmal.
5. Transport
Für die Fahrt vom Lager in die Stadt haben wir einen Bus der dreimal am Tag kommt und man bezahlt 1,50 DM pro Kopf, aber um nach GOTHA (Ausländerpolizei) zu fahren wegen Verlängerung unserer Personalausweise brauchen wir 40 DM für die Hinfahrt und 40 DM für die Rückfahrt. Aber unsere Unterstützung ist nur 80 DM im Monat.
6. Schlussfolgerung
Das Asyllager von Tambach „Neues Haus“ ist ein Ort, wo die Leute viel leiden.Also muss man viel Aufmerksamkeit richten auf das Lager und ihre Lebensbedingungen. (Übersetzung des Flüchtlingsrats Thüringen)
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Welche Fragen stellst du dir nach dem Lesen?
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Kommentare
Mich hat der stetige Wechsel zwischen subjektiver Erfahrung und normativer Beschreibung des Lebens in der Asylunterkunft und auf der anderen Seite eher nüchtern geschildertem Erleben der Ereignisse überrascht. Es wirkt fast, als hätte der Autor/ die Autorin den Text in verschiedenen Stimmungslagen geschrieben.
Beosnders irrtierend habe ich die Stelle zu den Sozialarbeitenden empfunden. Meines Wissens bewegen sich Sozialarbeitende stets in einer ambivalenten Rolle in der sie einerseits Vertreter staatlicher Strukturen sind, andererseits aber um das individuellen Wohl ihrer Klienten bemüht sind. Dieser Grundwiderspruch scheint aber ind er Darstellung einsietig zu Lasten der geflüchten Personen aufgelöst zu werden, die die Sozialarbeitenden als ihnen feindlich gesinnt wahrnehemen. Die Frage nach der Ursache dieser Wahrnehmung würde ich sehr interesieren. Lag es an einer tatsächlich problematischen Haltung der Sozialarbeitenden, ist die Ambivalenz der Rolle kommunikativ nicht ausreichend vermittelt worden oder gab es noch alternative Gründe?
Ein zweiter irritierender Punkt ist die Nahrungsversorgung, weniger das nicht einhalten des MHD sondern die desolate Versorgung mit Obst und Gemüse.
An diesem Bericht fällt mir besonders auf:
- Darstellung der Sozialarbeiter*innen: sehr drastisches Urteil über die Sozialarbeiter*innen: sollten eigentlich Nahestehende sein, sich um Klient*innen kümmern, Vorwurf: kümmern sich nicht, machen das Leben schwerer , nutzen Nahposition aus
- Transport: den Betroffenen wird Mobilität nicht ermöglicht
ein Eindruck, der bei mir bleibt: Darstellung der Sozialarbeiter*innen kollidiert mit geselslchaftlichem Bild/ Selbstbild von Sozialarbeit
Die Vermischung aus sehr persönlichen Beispielen und Erfahrungen sowie radikalen Bildern, wie die Mutter, die ihr Kind umbringt, kann sehr gut die Verzweiflung und Ohnmacht veranschaulichen, die diese Menschen verspürt haben müssen. Gleichzeitig fällt die sachliche Darstellung, die im Wechsel eingestreut wird, auf, die die Asylsuchenden vermitteln wollen, um einen möglichst großen Effekt zu erzielen, v.a. die Forderung nach mehr Aufmerksamkeit erscheint mir in Anbetracht der Darstellungen zu wenig.
Es hat mir persönlich noch einmal vor Augen geführt, wie wenig ich über die Lebensbedingungen der Geflüchteten in meinem Heimatdorf weiß und wie sehr ich es ausblende.
Mit ist aufgefallen, dass sich viele der Schilderungen auf die Lebensumstände richten und weniger auf strukturelle Aspekte des Asylverfahrens in Deutschland oder die Unterbringung in einem abgeschotteten Lager. Die Sprache des Briefes verzichtet auf abstrakte Begriffe oder theoretische Einordnung, sondern schildert den Alltag anhand von lebensweltlichen Beispielen. Aus den Schilderungen wird aber kein Forderungskatalog abgeleitet, sondern eher indirekt auf mögliche Verbesserungen hingewiesen.
Nach dem Lesen habe ich mich gefragt, wer die Verfasser:innen waren, wie sich die Gruppe des Komitees zusammengesetzt hat und welche politisch-biografischen Erfahrungen die Mitglieder in die Organisation des Protestes einbringen konnten.
Zu dem Ort habe ich keinen Bezug. Seine Geschichte habe ich durch die Arbeit von Emilia kennengelernt.
Ich bin ab Juli 2022 nur fünf Kilometer entfernt vom Neuen Haus aufgewachsen. Ich kannte den Ort vom Vorbeiwandern und habe mich immer gefragt, was die großen Gebäude im Wald sollen. Durch Zufall habe ich 2020 bei einer Recherche über rassistische Gewalt Anfang der 1990er Jahre erfahren, dass dort eine Asylunterkunft war und dann für meine Masterarbeit mehr recherchiert.
Beim Lesen bin ich über den Vergleich von den Sozialarbeitern mit Müttern gestolpert. Eine Mutter, die ihr Kind tötet. Das ist ein brutales Bild. Passt das hier? Auf jeden Fall veranschaulicht der Vergleich, wie ausgeliefert und schutzlos sich die Verfasser*innen des Briefes gefühlt haben müssen. Der Vergleich der Sozialarbeitern mit Müttern setzt die Bewohner*innen ja Kindern gleich, spricht also von Entmündigung und Infantilisierung. Es illustriert für mich, wie wenig Handlungsmacht und Handlungsspielräume die Geflüchteten hatten, um selbst Probleme zu lösen.